JOHN CABOTS LANDUNSSTELLE IN KANADA

von Reinhard Zollitsch
Juli 2007

Als ich vor zehn Jahren (1997) meinen neuen Dodge Van bekam, wurden mir etliche Nummernschilder zur Wahl vorgestellt. Ich wählte das Schild “1497 C”, denn irgendwie berührte mich die Zahl wie ein alter Freund, den ich lange nicht gesehen hatte. Im selben Jahr besichtigten dann meine Frau und ich ein antikes Segelschiff im Hafen von Boston, und plötzlich wurde mir alles klar. Das Schiff war ein Nachbau der MATTHEW, auf dem John Cabot 1497 über den Atlantik gesegelt war, auf der Suche nach einem Seeweg nach China, der Nordwestpassage. Dabei soll er gleichzeitig auf der Landungsstelle die englische Fahne und ein Kreuz errichtet und das Land für die englische Krone beansprucht haben.

1997, also genau 500 Jahre später, segelte dann die neue MATTHEW wie damals von Bristol, England, über den Atlantik und lief Neufundland und Cape Breton Island, Nova Scotia, an, und (die neue MATTHEW) schließlich auch Boston und andere Häfen in den USA. Wo Giovanni Caboto, wie John Cabot in seiner italienischen Heimatstadt Genua genannt wurde, gelandet war, hat er nie genau gesagt; vielleicht durfte er es auch nicht, um nicht Spanien und Portugal zu verärgern, die gerade zuvor vom Papst je eine Hälfte der nicht-christlichen Weltkugel als Interessensgebiet zugeteilt bekamen. (Siehe Vertrag von Tordesillas von 1494.)

Wo war er also gelandet, wo war die “Prima Terra Vista” auf dem nordamerikanischen Kontinent? Bristols Historiker meinen, Cabot wäre entweder   an der Nordostecke von Cape Breton Island, Nova Scotia, gelandet, auf Cape North, an der Cabot Strait zwischen Neufundland und Nova Scotia (siehe Seekarte), oder aber auf Cape Bauld, an der nördlichsten Spitze Neufundlands. Das musste ich mir ansehen und mir dann als alter Transatlantik-Segler selbst Gedanken darüber machen, auch wenn ich zehn Jahre zu spät für die 500-Jahrfeier war.

Cape Breton Map
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Mein “Expeditionsschiff” war aber viel kleiner als die MATTHEW. Es war ein  5,23 Meter langes SEA WIND Seekanu mit Deck, Spritzdecke und Steuerruder, das ich wie immer mit meinem 312 Gramm schweren Kohlefaser/Carbon “bent-shaft” Kanurennpaddel paddeln wollte. Auf dieser “Erkundungsfahrt” wollte ich auch gleichzeitig die 320 Seemeilen (576 km) um die Cape Breton Insel herum paddeln, mit Start und Finish an der “Strait of Canso”, dem schmalen Wasserarm zwischen Nova Scotia und der Insel selbst. Diese hatte ich mir auf meiner Umrundung von Nova Scotia in zwei vergangenen Sommern (siehe KANU-SPORT, Juni 2006) für einen neuen Sommer aufgespart.

Jetzt geht's los:

Start an der Strait of Canso foto
Start an der Strait of Canso, Nova Scotia, Kanada

Es war mir möglich, mein Auto nach einer 750 km Anfahrt von zu Hause in Maine, USA, bei einem Motel für die Dauer meiner Reise (16 Tage) abzustellen. Und dann ging es los, voll proviantiert für 17 Tage und mit 10 Liter Trinkwasser an Bord, mit genauen Seekarten in einer großen Plastiktasche direkt vor mir befestigt, sowie auch Kompass und Stoppuhr (aber kein GPS, denn ich navigiere lieber traditionell); und hinter mir ein hoch-moderner, passiver Radarreflektor (siehe Info), denn ich erwartete viel Nebel. Das Boot war schwer, der Wind kam mit 20 Knoten aus Nordwest auf Backbordbug, und ich war im Nu nass und kalt. An Steuerbord war aber eine fast ununterbrochene steile Steinküste, und ich musste 5 Stunden paddeln, bis ich endlich in einem kleinen Hafen (Judique) Schutz fand. Es waren   nur 30 km, aber ich war fertig und verkroch mich in mein Zelt, um mich aufzuwärmen und den weiteren Verlauf meiner Reise zu durchdenken.

Mit 68 Jahren kommen einem dann oft Zweifel, ob man so eine Reise auf offenem Wasser entlang einer Steilküste und so ganz allein noch einmal abziehen kann. Ich war bereits in den vergangenen sieben Sommern 4000 Meilen (6400 km) um die maritimen Provinzen Kanadas sowie alle Neuenglandstaaten der USA gepaddelt, aber Cape Breton Island soll laut “Kanuführer” (siehe Info) für dieses Gebiet noch anspruchsvoller sein.

An diesem Tiefpunkt kam ein Fischer an meinem Zelt vorbei und fragte, ob ich Interesse hätte, das Ende der Hummerfangsaison mit einem Lobster zu feiern. Ich zeigte ihm meinen kleinen Topf. Da meinte er: “Macht nichts. Ich komm später wieder vorbei.” Und so war's. Er hatte einen noch dampfenden Hummer in der Hand und dazu eine Flasche Bier. “Enjoy! It's on me!” sagte er freundlich, und alle Gedanken, meine Reise abzubrechen, waren plötzlich verschwunden, und ich paddelte von hier ab tapfer ohne weitere Zweifel 15 Tage durch viel Wind und Regen und noch mehr Nebel bis zurück zu meinem Auto bei dem Motel.

Zimmer mit Seeblick foto
“Zimmer mit Seeblick” bei McDonald Glen

Die Westküste hoch zu den zwei Kaps:

Mein Tagesziel waren 20 Seemeilen (36 km), was ich bis zum Ende meiner Fahrt schaffte (320 Seemeilen in 16 Tagen). In den ersten vier Tagen paddelte ich an Port Hood, Mabou, Margaree und Cheticamp vorbei, bis ich am fünften Tag bei Fishing Cove im Cape Breton Highlands National Park haltmachte, auf einem winzig kleinen Steinstrand zwischen steilen Felswänden mit nur einer Handvoll Zeltplätzen. Danach wurde es noch schwieriger, an Land zu kommen, da die Küste immer steiler wurde und direkt ins Meer fiel. Die 8 km lange, und sagenhaft schöne High Capes Strecke habe ich aber kaum gesehen, da der Wind und Seegang wieder auf Backbordbug schlugen und ich aufpassen musste, wie ich die überall sich brechenden Wellen umfahren konnte.

Cape Breton Highlands Nationalpark foto
Start der bekannten Cabot-Trail Autostraße im Cape Breton Highlands Nationalpark

Kurz vor dem ersten Kap, Cape St. Lawrence, fand ich wieder einen minimalen Steinstrand, auf dem ich landen konnte, denn ich wollte die beiden nördlichsten Kaps so früh wie möglich am nächsten Tag umfahren.

Steinküste foto
Typische steile Steinküste

Wieder kam der Wind aus Nordwesten, aber hinter den steilen Felsen am Kap, wo ich starke Gegenströmung erwartet hatte, war es plötzlich magisch still. Die Steinwände waren meist schwarz mit weißen Quarzstreifen darin, und alles war von der Wucht der zusammenprallenden Landmassen vor lang vergangenen Zeiten wunderbar verschoben und verbogen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich hielt des öfteren an, bestaunte die Bögen und Windungen der scharf abfallenden Steinküste, machte Bilder, auch von einem großen Steinbogen, der aussah wie ein Strebepfeiler einer alten europäischen Kathedrale. Ich war wie mesmeriert – doch dann musste ich plötzlich an das zweite Kap denken, Cape North, das noch weiter in die Cabot Strait reichte und noch etwa 20 km weg war.

Felsbogen foto
Felsbogen in der Cabot Strait

Wieder kam Wind auf, aber diesmal mehr aus Südwest, von achtern, aber auf der anderen Seite vom Kap wieder auf die Nase. Dies war das Kap, an dem John Cabot gelandet sein soll; und hier war auch der kleine Sandstrand, den ich in meinen Cabot Büchern (siehe Anhang) gesehen hatte. Da war ein Bild von Cabot mit seinen Leuten, wie sie mit Kreuz und englischer Fahne aus ihrem Beiboot an Land sprangen und diese “Neue Welt” für England “eroberten”. Ich sah auch das Denkmal mit der Cabot-Büste drauf, konnte aber leider nicht wegen zu hoher Wellen landen, und grüßte statt dessen respektvoll mit meiner Mütze in diese Richtung.

Direkt hinter diesem kleinen Strand und dem Leuchtturm war ein etwa 500 Meter hoher und an die 20 km langer, steiler Bergrücken, den man bis meilenweit raus auf den Atlantik hat sehen können müssen, auch die Seeleute aus Bristol. Es war also ein gut sichtbares Ansteuerungsziel, so wie die hohen Berge auf Grönland und Labrador Sichtmarken für die Vikinger waren, als sie, etwa 500 Jahre vor Cabot, die Davis Strait überquerten.

Cape North Leuchtturm foto
Cape North Leuchtturm

Die Atlantikküste runter zu den Bras D'Or Lakes:

Als ich meine 20 Seemeilen wieder gepaddelt hatte, schlug ich mein Zelt auf einem kleinen Sandstrand (“pocket beach”) bei einem Wasserfall auf. 238 km geschafft und noch 338 km zurück zum Auto. Meine Fahrt war aber irgendwie schon zu Ende, so ähnlich, wie wenn man beim Bergsteigen den Abstieg vom Gipfel beginnt. Die Küste nach Süden war zwar weiterhin steil, fotogen, aber hart, und die vielen Kaps (White Point, Cape Egmont, Smokey, Dauphin) immer imposant aber mit viel Vorsicht zu umfahren. Die Strecke zur Einfahrt in die BRAS D'OR LAKES, die “Seen mit den Goldenen Armen”, schien endlos zu sein. Außerdem lag über dem Atlantik bis zum letzten Tag meiner Reise dichter Nebel, und ich habe nicht viel mehr als meinen Kompass und Seekarte vor mir sehen können. Aber das macht mir auch Spaß, da das ohne GPS navigatorisch eine echte “challenge” ist.

Nebel über Ingonish foto
Nebel über Ingonish

Dieser vielarmige See, der nur im Süden eine Schleuse hat, ist ziemlich groß. Das Zentrum ist 24 km im Quadrat und hat Arme, die 32 und sogar 64 km lang sind.  Wie in dem bekannten Fonda Film “On Golden Pond”, ist das nicht. Als ich den letzten Arm im dichtesten Nebel überquerte und noch etwa 4 km bis zur nächsten Küste zu paddeln hatte, frischte der Wind plötzlich auf 25-30 Knoten auf, und zwar von steuerbordbug. Da wurde es interessant, zumal ich so gut wie nichts sehen konnte.

Bras D'Or Lake foto
Bras D'Or Lake – Sonnenuntergang am “See mit den goldenen Armen"

Einen Tag später fuhr ich schon durch die Schleuse bei St. Peter und in die Lennox Passage. Während die Segelboote in der Schleuse, die in dieselbe Richtung fahren wollten, wegen des Nebels am Kai festmachten, verholte ich mich von Insel zu Insel zur Grandique Enge, wo plötzlich die Sonne herauskam. Oh war das schön! Und auf meinem letzten Campingplatz an einem schwarzen Steinstrand in Black Cove erlebte ich einen wunderbaren Sonnenuntergang, und am nächsten Morgen einen ebenso dramatischen Sonnenaufgang – ein prachtvolles Ende zu meiner sonst nicht immer leichten Solofahrt.

Sonnenaufgang in der Lennox Passage foto
Sonnenaufgang in der Lennox Passage

Und schon war ich in der Strait of Canso und der Schleuse. “Canso locks, Canso locks; this is sea canoe Sea Wind, sea canoe Sea Wind, approaching from the southeast.”  “Stand back, I'll open one wing”, war die prompte Antwort. Und so kam ich in wenigen Minuten von den Wassern des Atlantik zurück in den Golf von St. Lorenz. Als ich so die letzten paar Meilen über die Strait zurück zu meiner Einsetzstelle beim Cove Motel paddelte, fiel mir ein großer Stein vom Herzen. “Du hast es wieder einmal geschafft, Reinhard; gut gemacht, und alles wieder genau nach Plan, auch zeitlich – und wieder ohne Havarie oder jeglichen Schaden am Boot, der Ausrüstung, an Körper und Seele.” Ich musste lächeln, als ich merkte, dass ich nach 16 Tagen allein auf See mit mir selber sprach.

Canso Schleuse zum Golf von St. Lorenz foto
Canso Schleuse zum Golf von St. Lorenz

Es war erst “high noon” als ich ankam. Ich checkte aus, packte alles in und auf meinen VW, und sagte meiner Frau Nancy in einer kurzen Message, dass ich die 750 km Rückreise sofort beginnen würde.

Ende einer erfolgreichen Solofahrt
Ende einer erfolgreichen Solofahrt

Achteinhalb Stunden später rollte ich vor meinem Haus aus dem Auto. Mein alter Labrador Hund leckte mir das Gesicht; ebenso Nancy, die mir dann half, ins Haus zu kommen.

ICH WAR ZU HAUSE – ein großartiges Gefühl --- Ende der Geschichte. (Oder doch noch nicht ganz?)  

Endlich   wieder zu Hause foto
Endlich wieder zu Hause

Nachwort:

Einige Historiker meinen nämlich, dass John Cabot auf Cape Bauld (dem Weißen Kap) an der Nordspitze Neufundlands gelandet und Kreuz und Fahne zum Ruhme Gottes und der Englischen Krone errichtet haben soll. Allein vom Nautischen her scheint mir dieser Ort aber eine höchst unwahrscheinliche Landungsstelle zu sein. Die gesamte Spitze Neufundlands, über 100 Kilometer, ist auf meiner Seekarte so flach wie ein Pfannkuchen und sieht aus wie Tundra mit vielen typischen, kleinen Schmelzseen darin.  Cape Bauld ist deshalb schwer ansteuerbar, und ist dazu noch auf einer kleinen Insel, Quirpon Island, hinter einer anderen kleinen Inselgruppe, den White Islands. Außerdem liegt es an einem Meeresarm, der Strait of Belle Isle, über den man bei gutem Wetter rüber nach Labrador sehen kann. Da endlich gibt es wieder eine weit sichtbare Steilküste.

Also, wenn ich bei der Expedition dabei gewesen wäre, so als Navigations- Azubi, wäre ich auf jeden Fall zum echten Festland, nach Labrador rüber, gesegelt, und wäre nicht hier auf dem kleinen Inselchen gelandet, um Besitz von einem ganzen Kontinent zu ergreifen. Ein Bericht davon hätte den knauserigen englischen König Henry VII bestimmt nicht imponiert, oder gar bewogen, für's nächste Jahr eine Expedition mit fünf Schiffen auszurüsten. (Für die 1497 Reise bekam Cabot lediglich 10 miselige Englische Pounds Unterstützung. Die fünf Schiffe der 1498 Expedition gingen leider spurlos verloren, bis auf eins, das mit Sachschaden gleich nach der Abfahrt umkehren musste.)

Auf jeden Fall ist das für mich Grund genug, mir das alles nächsten Sommer (2008) näher anzusehen und gleichzeitig die gesamte Westküste von Port Aux Basque bis oben rauf zu paddeln, wieder solo in meinem Seekanu. - Eine Fortsetzung folgt also. Mal sehen, was wird. Ich lass euch dann wissen.


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Info:
Solo Rundreise von 576 km um Cape Breton Island, Nova Scotia, Kanada; ohne jegliche Hilfe; in 16 Tagen; durchschnittlich 36 km pro Tag; von der Strait of Canso im Uhrzeigersinn um die Insel und zurück zum Ausgangspunkt; 750 km Anfahrt von Orono, Maine, USA.

Ausrüstung:
* Boot: 5,23 Meter Kevlar Kruger SEA WIND Seekanu (www.krugercanoes.com)
* Kohlefaser/Carbon Zaveral Marathon Kanurennpaddel, 312 Gramm, (www.zre.com)
* Luneberg lensatischer, passiver Radarreflektor von West Marine (damit man mich im Nebel besser sehen kann)
* 1,80 Meter langen “Fahrrad-zitter-stab” mit orange Fähnchen dran (auf dem Heck, damit man mich auch bei Sonnenschein besser sehen kann)
* Camping Sachen für Strand Camping; Essen für 16+1 Tage; 10 Liter Wasser in 2 Behältern, zweimal nachgefüllt
* NOAA Seekarten, Ritchie Kompass und Stoppuhr zum Navigieren
* VHF Radio -Telefon mit Wetterstationen
* Iridium Satelliten Telefon (das ich nur für kurze Anrufe nach Hause gebrauche – und Notfälle, natürlich)

Lesematerial:
* Scott Cunningham: Sea Kayaking in Nova Scotia. Nimbus Publishing, Halifax, Kanada, 1996.
* Brian Cuthbertson: John Cabot & the Voyage of the Matthew. Formac Publishing  Co. LTD., Halifax, Kanada, 1997.
* Peter Firstbrook: The Voyage of the Matthew. BBC Books, 1997.
* Cape Breton Highlands National Park of Canada:
www.pc.gc.ca/pn-np/ns/cbreton
16648 Cabot Trail, P.O. Box 158, Cheticamp, NS  BOE 1H0  Canada

© Reinhard Zollitsch

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