Solo Kanucamping im Everglades Nationalpark, Florida, USA
(Zur 500-Jahrfeier von "La Florida")


Noch einmal

1992 war das erste Mal, dass ich eine solo Kanureise durch die Everglades machte. Inzwischen hab ich tausende von Meilen in den verschiedensten Gebieten gepaddelt, in der Nordostecke der USA und den maritimen Provinzen Kanadas, auf dem Missouri Fluss, dem Pazifik und sogar auf der deutschen Ostsee von Dänemark nach Polen. Aber Ende Februar/Anfang März zieht es mich immer wieder nach Florida, in den Everglades Nationalpark, auf eine solo Kanureise der inneren Erneuerung, auch noch mit 74 Jahren.

Genauso war's 2012, 20 Jahre später, und auch 2013. In den Jahren flog ich aber von meinem Zuhause im kalten Staat Maine nach Miami, um meine Reise in Flamingo zu beginnen, statt nach Fort Myers zu fliegen, um am Nordende des Parks, bei Everglades City, einzusetzen. 2010 hatte ich im Park einen Ranger getroffen, der wie ich alter Rennpaddler war und auch ein abgedecktes Tourenseekanu und Carbon Rennpaddel besaß wie ich, was er mir ausleihen wollte. Endlich brauchte ich mich nicht mehr allein mit einem 2-Mann Bum-Bum-Aluminium Leihkanu herumzuschlagen, was einen in den häufig starken Passat Winden auf dem Golf von Mexico nur sehr langsam vorankommen lässt.

Aber der entscheidende Grund, 2013 noch einmal in den Glades zu paddeln, war wie so oft für mich wieder ein historischer. So wie ich auf früheren Reisen auf den Spuren von Jacques Cartier, John Cabot, Samuel de Champlain und Henry Hudson gepaddelt habe, war es diesmal der Spanier Juan Ponce de Leon, der vor genau 500 Jahren (1513) als erster Europäer an der Ostküste Floridas gelandet war und darüber berichtet hatte. Das war am spanischen Ostertag, dem "Fest der Blumen", oder "Pascua Florida". Und so nannte er die Halbinsel, auf der er gelandet war, "La Florida". Nach ihm ist dann später auch die große Bucht mit den vielen Mündungsarmen des Shark River benannt worden, "Ponce de Leon Bay", die ich mir dieses Jahr genauer ansehen wollte.

Ich konnte es kaum erwarten, von meinem Ranger Freund John im Flamingo Campingplatz mit Boot, Paddel, Schwimmweste und kleiner Propankartusche für meinen Kocher abgesetzt zu werden und mein Zelt aufzuschlagen, grad als die Sonne hinter den Palmen am Ufer versank.

Die Fahrt beginnt

Die Nacht schien sehr kurz, aber ich musste früh los, um mich hoffentlich als erster im Rangerbüro einzuchecken. Ich reservierte meine 13 Campingplätze, was man nicht im voraus machen kann. Ich hatte Glück und bekam genau das, was ich geplant hatte.

Am 24. Februar 2013 um 9:45 ging meine Fahrt dann endlich los. Was für ein befreiendes Gefühl! Der Anreisestress war vorbei; alles war jetzt viel mehr in meiner Kontrolle, und solange ich alles genau plane und aufpasse, sag ich mir immer, kann nichts schief gehen.

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Karte vom Everglades Nationalpark
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Die Golfküste hoch


golf
Mein Boot am Golf Strand

Mein erstes Ziel lag nur 14 Meilen/22 km um East Cape Sable herum beim Middle Cape, was ich in 4:15 Stunden erreichte. Es war heiß, fast 30 Grad, der Wind mäßig, aber die Sonne brannte auf den weißen Sandstrand. Ich fand unter einem Mangrovenbaum Schatten für mein Zelt, kühlte mich mehrmals im Wasser ab und genoss meinen ersten Nachmittag mit Kaffee, Kakao, Tagebuch und Lesen.
Genauso hatte ich mir meinen ersten Tag vorgestellt. Und ich war wieder ganz allein mit einem weit-offenen Horizont und Sandstrand so weit ich sehen konnte!

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Middle Cape Sable

Ich paddelte noch 3 weitere Tage die Golfküste hoch, zuerst um die Ponce de Leon Bay herum und an den vielen Mündungsarmen des Shark Rivers vorbei zum Graveyard Creek Camp. Dann ging's weiter auf dem offenen Golf zum Hog Key, der Schweineinsel, und am nächsten Tag machte ich Camp auf der inneren Lagune von Pavilion Key. Dort traf ich zum ersten Mal Paddler, die aber aus Norden, aus Everglades City, gekommen waren.


Hog Key

Da das Wasser entlang der Küste sehr flach ist, muss man Ebbe und Flut genau berechnen, um an Land zu kommen, sowie am nächsten Morgen wieder flott zu werden. Eine längere Portage über Schlamm und scharfe Austernbänke ist für mich absolut kein Spaß. Aber die Küste selbst mit seinen vielen kleinen Muschelsand- und Mangroveninseln und der weit-offenen Horizont sind einmalig und jede Mühe wert, einschließlich des stärkeren Windes und der kurzen, steilen Wellen. Man muss entlang der Golfküste halt aufpassen und mit den Gezeiten paddeln.

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Pavilion Key

Besuch auf dem Sweetwater Chickee

Von dort paddelte ich den Chatham Fluss hoch, tief in den Mangrovenwald zu einem meiner Lieblings Campingplätze, zum Sweetwater Chickee, zwei 4X4 m bedachten Holzplattformen im Wasser. Die Ufer sind dichtes, undurchdringliches Mangrovengestrüpp. Früher schickten die Küstensegler ihre Beiboote hier her, um ihre Trinkwasserfässer aufzufüllen. Wie der Name besagt, ist es fast völlig Süßwasser, so weit hoch in den Mangroven.

Wie die alten Bewohner der Glades, Lopez, Watson, Darwin, Totch und mein Freund Thornton, versuche auch ich so viel wie möglich nur nach dem Gedächtnis zu navigieren, auch wenn ich natürlich NOAA Seekarten, Kompass und Stoppuhr zur Kontrolle dabei habe, aber immer noch kein GPS. (Brauch ich nicht. Ich navigiere lieber traditionell, wo ich mitdenken muss.)

Ich hatte meinem Freund Thornton geschrieben, dass ich an diesem Tag auf Sweetwater sein würde, hatte aber nicht erwartet, dass er mit seinen 82 Jahren ganz von Sebring auf einen kurzen Besuch runter kommen würde. Plötzlich hörte ich aber seine laute Stimme und sah ihn mit seiner Frau und einem Freund im Boot auf mich zukommen.

oldtimer
Thornton & Reinhard

Dann kamen noch 3 Ranger, die Reparaturen an der Holzplattform machten und 5 Kajaker, die ihre Mittagspause mit uns teilten. Momentan war es echt eng auf dem kleinen Holzquadrat, aber die Gespräche waren um so animierter..

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Sweetwater Chickee

Aber schon bald war ich wieder allein. Ich rief kurz meine Frau Nancy zu Hause in Maine auf meinem Satellitentelefon an, als Safety-check, und drückte auch den Knopf auf meinem SPOT Locator Beacon, der besagt, dass ich angekommen war. Meine Frau, meine Familie und Freunde können dann auf ihrem Computer mit Google-Earth auf einem Satellitenfoto genau sehen, wo ich bin - tolle Technik! (Da ist auch ein # 911 Notruf Knopf, den ich aber hoffe, nie auslösen zu müssen.)

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich mit Beobachtungen, sah etliche Alligatorenköpfe im Wasser, d.h. eigentlich nur die Augenpaare und Nasenlöcher, und von etwas weiter weg hörte ich sogar das tief-rollende Gurgeln der männlichen Alligatoren, das wie ein ferner Außenbordmotor im Leerlauf klang. Ich sah einen "pileated woodpecker" (ein sehr großer Schwarzspecht mit roter Haube, wie ein Hahnenkamm), hörte einen "whip-poor-will" (Ziegenmelker), sah "swallow-tailed kites", riesige, schwarz-weiße, schwalbenartige Raubvögel, elegant und schnell hoch über mir kreisen, zählte die Eulenschreie, bis endlich die Sonne sank und die "mosquitos" (Stechmücken ) und "sandflies" (winzige, beißende Sandfliegen) mich in meine "Tuchburg", sprich Zelt, trieben. Ein wunderbarer Tag ging zu Ende. Die ganze Nacht hindurch sprangen die Fische unter einem sternklaren Himmel.

Enge Passagen und die berüchtigte "Nightmare" (Alptraum)

Am nächsten Tag paddelte ich durch zwei Seenketten, die durch enge, 1-Meile lange Passagen verbunden waren, "Alligator" und "Plate Creek". Wie der Name andeutet, kann man da häufig Alligatoren antreffen, sehr große sogar. Ich erinnere mich an einen, der uns den Weg versperrte, als ich 1996 mit meiner Frau fuhr. Da in dem Fluss Strom war und ich nicht stoppen konnte, oder wollte, fragte ich Nancy: "Fahren wir über den Kopf oder den Schwanz?" "Schwanz!" war ihre schnelle Antwort, gerade als er unter unserem Alu-Kanu wegtauchte. Etwas später preschten zwei Delphine durch die Enge direkt auf uns zu. Ich drückte das Boot schnell an die Böschung und ließ sie vorbei. Sie warfen aber eine enorme Bugwelle gegen und sogar in unser Boot.

plate creek
Undurchdringliches Mangrovenwurzelgeflecht am Ufer

Diesmal ging alles glatt. Nur auf Lostmans Five, meinem nächsten Camp, wurde ich mit lautem Zischen und Ratteln von einer Klapperschlange empfangen. Also stellte ich mein Zelt an der vorderen Kante auf, was der Klapperschlange recht war, indem sie schlapper klapperte. (Da musste ich natürlich an den Kinderreim/Zungenbrecher denken: "Es klapperten die Klapperschlangen bis die Klappern schlapper klangen.")

Von dort gings auf neuen Wegen, also nicht auf dem mehr oder weniger markierten/numerierten "Waterway", zum Rogers Chickee und am nächsten Tag den Rogers Fluss runter in den Golf und von dort den Broad Creek hoch in die "Nightmare", den Alptraum. Inzwischen hatte sich auf dem Golf bei SW 15-20 Knoten ein scharfer, kurzer Seegang gebildet, bei dem ich echt tanzen musste, um trocken zu bleiben, da mein Boot ja nur halb-abgedeckt war und keine Spritzdecke hatte.

Auf dem Broad Creek war dann alles wieder ruhig. Da sah ich plötzlich die 2 Nasenlöcher von einer Manatee, einer Seekuh, die regelmäßig, aber laut hörbar, durch die Nase atmete, während der restliche riesige, plumpe Körper fast leblos an den Nasenlöchern im Wasser hing, so schien es. Ich war nur etwa zwei Meter entfernt. Sie wachte aber nicht auf – das gefiel mir.

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Das Tor zur "Nightmare"

Beim Markierungspfahl #17 ging's in die "Nightmare". Das Wasser war plötzlich seltsam orange gefärbt; die Bäume formten ein Tor, das schon nach einigen Metern zu einem Tunnel wurde. "Das kann doch nicht dein Ernst sein! Da sollen wir durch?" hätte jeder Kanuneuling gesagt. Aber von meiner ersten Fahrt in den Everglades (1992) wußte ich, da ging's durch, unter Ästen, über Wurzeln, nach rechts, dann sofort nach links und wieder rechts, ohne Pause, etwa 75 Minuten, bis da endlich wieder ein kleiner fahrbarer Bach/Fluß zu erkennen war, wo man rechts und links das Paddel ins Wasser tauchen konnte. Hurrah! Geschafft! Mein Rat: Die Durchfahrt nur bei halber bis voller Flut zu versuchen, um stets genug Wasser unterm Kiel zu haben (da würde man sonst 6 Stunden hoffnungslos stecken bleiben – absolut kein Spaß!), und nur, wenn man keine Raumangst hat.

Weiter auf neuen Pfaden

harney
Harney Chickee

Die Nacht verbrachte ich auf dem Doppel-Chickee im großen Harney Fluss. Da traf ich zwei über-voll ausgerüstete Paddler in einem Alu-Leihkanu. Die hatten zwei Kühltruhen und Klappsessel dabei, Ess- und Getränkekisten sowie etliche 5 Gallonen Wasserflaschen. Das Boot sah wie ein Frachter aus und hatte nur wenig Freibord. Ich warnte sie über die steilen Golfwellen, aber sie lächelten nur. Ein paar Tage später hörte ich von meinem Ranger Freund, dass er die zwei im Golf vor Highland Beach beim Durchgang einer Front aus dem Wasser gefischt hatte.

zu viel
Mit so viel Gepäck - das kann nicht gut gehen!

Statt auf dem Hauptarm des großen Harney Flusses zu bleiben, wählte ich den nördlichen Nebenarm bis hoch in die NW Ecke des großen Tarpon Bay, und von dort wieder durch einen Schlängelpfad, liebevoll "The Jungle" genannt, in das abgelegenste Camp "Cane Patch". Es war aber ein erstaunlich großer, flacher Erdflecken, fast ein Feld, mit Bananenstauden, Palmen und anderem Gestrüpp. Ich nehme an, dass hier einmal in der schnapsfreien Zeit, der "prohibition", eine Whiskeybrennerei versteckt war.

mangroves
Mangroven


Aber ich hatte andere Sorgen. Mein Wetterbericht sprach von einer Front, die noch vor Abend hier durchkommen sollte, gefolgt von 4 Tagen Starkwind, 25-35 Knoten. Vier Sport-Fischer in einem Motorboot packten schnell ihre Sachen zusammen und verschwanden eiligst zurück zur Marina in Flamingo. Ich hatte keine Wahl, machte nur sicher, dass mein Zelt gut vertäut war und ließ fast all meine Sachen in meinen wasserdichten Säcken.

Die Nacht war windig und laut, aber auch irgendwie wunderbar aufregend. Der Regen blieb GSD aus. Am Morgen blies es 20-25 Knoten aus SW, mit Böen bis zu 30, war meine Wetterinterpretation. (Mein Wetterradio hingegen sprach von soliden 30 Knoten mit Böen bis zu 40. Ich hör aber immer bei 25 Knoten auf, da ich mir keine unnötige Angst einjagen will.)

avocado
Avocado Creek

Also, los geht's! Gore-Tex Regenanzug und Trinkflasche waren griffbereit. Ich band alle Seesäcke mit Extraleinen im Boot fest, und wählte kleinere Flussarme, wie Avocado Creek, wo der Wind mich nicht so sehr fassen konnte. Aber schließlich musste ich raus auf den großen Shark River, direkt in den Wind und dazu noch gegen den Strom. Das war ein mühsames, nasses Geschäft. Nur gut, dass ich dieses Jahr kein Doppel-Kanu solo paddeln musste, sondern mitschiffs in einem halb-abgedeckten Soloseekanu saß, mit Fußsteuer und meinem Lieblings-Carbon-Rennpaddel in der Hand.

Kurz vor dem Shark River Chickee sah ich plöztlich eine schwarze Wolkenbank vor mir, aus deren scharfem unterem Rand dunkle Korkenzieherwolken nach den Baumkronen griffen. DIE FRONT! VORSICHT! Da kann es bis 60 Knoten blasen. Ich machte eine schnelle Linkswende und lief einen Seitenarm runter, bis ich eine Stelle fand, wo ich mein Boot in eine winzige Mangrovenbucht drehen konnte und mich dann mit beiden Händen an den Ästen und Wurzeln festhielt. Keinen Moment zu früh, denn dann ging es auch schon los. Das Wasser sah zuerst schwarz aus, dann kamen steile Wellenkämme, die schließlich horizontal wegflogen. Und dann goss es! Ich griff schnell eine Regenplane, denn da war keine Zeit, meinen Regenanzug anzuziehen. Und so hing ich da gute 45 Minuten bis mir die Arme brannten. Dann drehte der Wind von SW auf NW, der Regen hörte auf, die Front war durch, und ich machte wieder Fahrt auf Richtung Oyster Bay.

Als ich aber auf die offene Oyster Bucht kam, hatte der Wind einen 2-Meilen langen Anlauf und traf mich platt auf Steuerbord. So eine Situation ist auch für mich keine Spazierfahrt mehr, sondern "real rough fun". Da muss man schon recht kräftig und gekonnt paddeln, wenn man nicht vollschlagen will. Irgendwie tanze ich aber gern mit den Wellen, solange ein Ende in Sicht ist.

Ich wusste, dass das Oyster Bay Chickee in einer geschützten Bucht war. Ich musste aber trotzdem alle meine Säcke erst in mein schlappes Zelt tun, bevor ich die Zeltstangen einlegen und das Zelt aufstellen konnte. Mein Boot gebrauchte ich als Windfang hinter meinem Zelt auf der Plattform.

Mein Erdnussbutter Sandwich mit Karotte und Apfelmusschälchen und mein "Muckefuck" (Nescafé) mit fettfreier Milch schmeckten diesen Mittag besonders lecker. Abends gab's Bohneneintopf aus der Dose und Fruchtschale – alles oh so einfach und schnell zuzubereiten und auch schmackhaft. Ich kann mich nicht beklagen.

Was jetzt?

Noch drei Tage Starkwind, und ich war auch noch genau drei Tage von Flamingo. Notgedrungen entschied ich mich, meine Fahrt genau wie geplant durchzuziehen. (Ich hatte auch wenig Auswahl, außer die Ranger anzurufen, und sie zu bitten, mich samt Boot nach Flamingo zu kutschieren. Das gab's aber nicht!)

Ich hatte geplant, die nördliche Hälfte vom Whitewater Bay zu erkunden, was ich bis jetzt noch nie gemacht hatte, auch vielleicht, weil da überhaupt keine Wegepunkte waren. Mein Kartenkurs führte mich aber sicher durch den Kormoran Pass nach Nordosten zum Watson Chickee und von dort durch etliche Nebenarme des North Rivers zum North River Chickee.

Nach einer kleinen Verschnaufpause ging es dann über den Cutoff (die Abkürzung/denVerbindungsarm) zum Roberts River rüber. Ich war wieder tief in den Mangrovenwäldern auf Flussarmen, die das Wasser aus dem großen Okeechobee See über das riesige, nasse Grassland wieder auffingen und schließlich in den Golf führten. Alles hatte für mich ein sehr fernes, fremdes Gefühl. Ich fühlte mich weit ab von den Startpunkten meiner Kanureisen, von Flamingo und Everglades City.

osprey
Osprey Nest (Fischadler)

Dann aber tauchte plötzlich das Roberts River Chickee vor mir auf, und ich war überrascht, drei Seekajaks dort zu sehen. Ich war gerade auf die Plattform geklettert, als noch ein Rangerboot anlegte und eine Stimme fragte: "Wie geht's, Reinhard, alles klar?" Es waren mein Ranger Freund John und seine Frau Donna, in Uniform mit Hut, breitem Ledergürtel und Pistolentasche. "Du kannst stolz sein, es bis hierher geschafft zu haben. Das kann nicht jeder sagen. Übrigens, da kommt noch mehr Wind. Vorsicht!" Und damit gab er uns je eine eiskalte Dose Bier und warf den Motor wieder an. Wir vier hatten dann einander viel zu erzählen. Wollte John sehen, ob ich es in seinem Boot bis hier geschafft hatte? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ist egal. Aber warum hatte er ein Paddelboot wie meins an Bord, und wer war die dritte Person bei ihm an Bord?

Zurück nach Flamingo

ch machte mich am folgenden Morgen wieder sehr früh auf den Weg, da ich quer über den großen Whitewater Bay musste und von dort in den Joe River zum South Joe Chickee. Der Wind hatte schon wieder große Wellen aufgeworfen, die ich aber gut handhaben konnte, da sie mehr von achtern kamen. Drei Stunden später war ich schon da, bemerkte aber, dass das neue Chickee viel höher war als alle anderen, und dass der Wind auch in der kleinen Bucht noch heulte. Überall waren Schaumstreifen. Ich machte mir Sorgen und durchdachte genau meinen Landeplan: Wird der Wind mein Boot unter die Plattform drücken? Hoffentlich nicht! Um auszuladen, musste ich im Boot stehen, mich nach den Säcken bücken, sie dann mit einer Hand heben und auf die Plattform hieven, denn die andere Hand brauchte ich zum Festhalten und um das Boot von den Pfählen abzuhalten. Nur das leichte Paddel (300 Gramm) nicht aus der Hand verlieren, sagte ich mir! Aufpassen! Sonst fliegt es weg.


wind
Wind! South Joe

Nun, ich kam mir vor wie ein Kossackenreiter im Zirkus, als ich so im wild schaukelnden Boot stand, bis ich endlich das Boot an der Vorleine auf die Plattform ziehen und an den hinteren Pfählen festbinden konnte. Davor stellte ich wie die letzten Male mein Zelt auf, zuerst wieder schlapp mit allen Seesäcken drin, damit es nicht wegflog.

Der Wind blies den ganzen Tag und die ganze Nacht. Das ging dann auch mir langsam auf die Nerven. Alles war so LAUT! Ich schlief die meiste Zeit in meinem Zelt im Schlafsack mit Papierpropfen in den Ohren oder las in meinem beinlosen Klappstuhl. Der Sonnenuntergang sah aber zugegeben sehr dramatisch aus.

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Sonnenuntergang

Ich hatte fast alles in den wasserfesten Säcken gelassen und packte noch vor dem Frühstück (es gab keins) mein Boot - alles in umgekehrter Ordnung wie gestern. Der Wind hatte auf Ost gedreht, wehte aber immer noch mit 20-25 Knoten den langen, weit offenen Whitewater Bay herunter, direkt auf mich zu (6,5 Meilen/10,4 km). Das wird wieder eine nasse Plackerei werden, sagte ich mir, als ich mir meinen Gore-Tex Regenanzug anzog. Ich trank noch schnell einen kräftigen Schluck Wasser, und dann ging's los, mit fast grimmer Entschlossenheit.

Ich schaffte die Strecke in 2 Stunden. Erst bei der Einfahrt (Tarpon Creek) in den nächsten See (Coot Bay) machte ich kurz halt, aß ein paar Müsli Riegel und trank mehr Wasser, denn ich war ganz schön ins Schwitzen geraten. Ich schaute auf die Seekarte und war zuversichtlich, dass ich die restlichen Meilen zurück nach Flamingo leicht schaffen würde. Ich hatte mit John abgemacht, dass er mich dort um 11:00 Uhr erwarten könnte.

Die letzten 3 Meilen waren auf dem geschützten Buttonwood Kanal – äußerst zahm nach all den Windtagen. Als ich in der Marina ankam, war der Parkplatz für Bootsanhänger total leer. Gewöhnlich ist er so voll, dass man kaum einen Platz finden kann. Um 10:06 kam ich an, packte meine Sachen aus, zog mein Boot den Steg hoch, wusch es kurz mit meinem restlichen Süßwasser, als um 10:46 John ankam. Er schien stolz auf mich zu sein, sein Boot so sicher und rechtzeitig wieder zurückgebracht zu haben. "Gut gemacht! Be proud of your accomplishment, not everybody did." Und damit war die Fahrt zu Ende.

Ende der Rundfahrt durch die Everglades - Fazit

Ich checkte aus dem Park, als er mich mit meinen Sachen zurück zum International Hostel in Florida City fuhr, wo ich auf deren Hof noch einmal Zelt-Camping machte. Am nächsten Morgen holte mich ein Miami Airport Shuttle Van ab, und ich flog dann ohne Zwischenfälle über Atlanta zurück nach Portland, Maine, von wo ich den Bus nach Bangor nahm. Ein langer Tag (22:00 Uhr), aber ich war zu Hause, auch wenn's ein bißchen kälter war als in Florida.

Alles in allem wieder eine sehr erfolgreiche, wenn auch windige Paddeltour im Everglades Nationalpark. Zum Glück hatte ich das perfekte Boot und Paddel für die Golfwellen und den starken Wind. Es war gewiss nicht meine letzte Fahrt in den Glades. Jeder Besuch ist so anders und immer ein neues Erlebnis. Für mich sind die Everglades jedes Mal wie ein "Spring tonic", eine Frühjahrsmedizin, weit effektiver für einen "Nordländer" oder "Snowbird" aus dem kalten Staat Maine (wie mich) als ein Strandurlaub mit Bar und Pool auf Aruba, den Bahamas oder in Miami Beach.

Zum Glück denken aber nicht alle Menschen so wie ich, sonst wäre auch bald der Everglades Nationalpark so überlaufen wie der Rest Floridas.
Und ja, ich hab oft an Juan Ponce de Leon gedacht, besonders auf meiner Fahrt durch die Ponce de Leon Bucht. Den "Fountain of Youth", den "Jungbrunnen", den er fast fanatisch in den vielen Aquifers Floridas suchte, hab ich aber auch nicht gefunden. Dafür war aber die Fahrt selbst wieder echt "invigorating and rejuvenating", wie wir hier sagen würden; sie belebt und hält einen jung, besonders bei dem starken Wind.


HAPPY QUINCENTENNIAL, "LA FLORIDA"
Glückwunsch zur 500-Jahr Feier!
...und ich war dabei, allein und auf meine Art :-)

Statistik und technische Daten

13 Tage auf dem Wasser; 176 Meilen oder 282 km insgesamt; 13,4 Meilen durchschnittlich pro Tag (21,44 km)
Eintritt in den Park sowie Camp Reservierungen sind minimal, können aber erst 24 Stunden vor Abreise gemacht werden.
Man kann im Süden, in Flamingo, sowie im Norden, in Everglades City, einsetzen und Boote leihen (2-Mann Canadier oder Seekajaks).
Proviant bringt man am besten von außerhalb des Parks mit; Trinkwasser ist vorhanden, aber man sollte seine eigenen Behälter mitbringen (man rechne mit ¾ Gallone/Tag, oder 3 Liter/Tag – zum Trinken allein)
Mehr Info ist erhältlich auf der Park Webseite
Da ist auch eine sehr gute Übersichtskarte.
Zum Navigieren bitte nur die NOAA Seekarten gebrauchen (#11430, 11432, 11433). In der flachen, monoton grünen Mangrovenlandschaft mit den vielen Flussarmen und Inseln kann man sich schnell hoffnungslos verfahren. Nur der Hauptwasserweg hat dünne, braune, numerierte Holzpfeiler (etwa 130), die aber oft schwer zu sehen sind.
Boot: Verlen Kruger Monarch/Sea Wind (17'2"/5,15 m, Kevlar), (www.krugercanoes.com)
Paddel: Carbon, "bent-shaft" (12 °), 300 Gramm, von Zaveral (www.zre.com)
Camping Ausrüstung und Essen in 2 Seesäcken von zu Hause mitgebracht
7,5 Gallonen (~30 l) Wasser in 3 flachen "Wasserblasen" von Dromedary

Have fun and be safe.

reinhard@umaine.edu

www.ZollistchCanoeAdventures.com

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© Reinhard Zollitsch

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