Antigua/Karibik - Azoren - Hamburg
April- Mai 2011
Eine einmalige Gelegenheit
An einem typisch eiskalten Wintertag in Maine (in der extremen Nordostecke der Vereinigten Staaten) sitz ich da an meinem Schreibtisch/Computer, starr nur vor mich hin und komm zu nichts. Ich merk, ich hab einen akuten Anfall von "cabin fever", "sea fever," sowie Reisefieber. Die ersten Zeilen von John Masefields Gedicht "Sea Fever" ("I must down to the seas again, to the lonely sea and the sky...") gehen mir durch den Sinn. Und dabei fällt mir plötzlich eine kurze Nachricht zweier Segelfreunde aus Deutschland ein, nämlich, dass der alte Peter von Danzig, die 18 Meter Yawl des Akademischen Seglervereins, Kiel, auf der ich vor genau 50 Jahren als Student in Kiel zu den Shetlands, Norwegen, Schweden und Dänemark gesegelt bin, zur Zeit in Antigua/Karibik ist und am 23. April 2011 zurück nach Hamburg segelt.
Peter vor Antigua (Bild anklicken für Großformat)
Ich hatte das Boot völlig aus den Augen verloren. Es wurde 1936 in Danzig (heute Gdansk, Polen) für die olympische Zubringer Regatta Bermuda – Cuxhaven gebaut, und wurde nach dem Krieg der Uni Kiel überlassen, wo wir Studenten dann, bis zu je 12 an der Zahl, enthusiastisch an Ostseeregatten und Langfahrten teilnahmen. 1973 segelten Kieler ASV Studenten den Peter sogar um die Welt in der ersten Whitbread Around the World Race. Seit 1991, so hatte ich vor kurzem erfahren, wurde der arg alternde Peter dann an einen jungen Schiffer aus Seestermühe, bei Hamburg, verkauft. Das Schiff wurde völlig überholt und auf den Namen Peter von Seestermühe umgetauft, da der ASV Kiel sich den alten Namen für ein neues Boot vorbehielt. Seitdem, so las ich auf der Webseite, hat der Peter von Seestermühe bereits 250 000 Seemeilen gesegelt und den Atlantik 10 mal überquert, insgesamt 24 mal. Die 2011 Überquerung wird die 25. sein, auf der der Peter obendrein noch seinen 75. Geburtstag feiern wird. Wie zünftig, und welch ein Anlass, dabei zu sein!
April/Mai auf dem Atlantik, von einer kleinen Insel in der warmen Karibik über die Azoren die Elbe rauf nach Wedel/Hamburg --- bessere Medizin konnte ich mir gar nicht verschreiben. Ich liebe den Atlantik, bin bereits 1977 als "watch captain" auf einem Zwei-Mast Schoner von Maine nach St. Malo/Frankreich gesegelt, segel seit 1974 mit meinem kleinen Küstensegler die Antlantikküste Maines rauf und runter, und mach schon seit 15 Jahren Solo-Langfahrten in meinem 5 m langen, gedeckten Seekanu um Neuengland und alle kanadischen maritimen Provinzen herum, einschließlich Nova Scotia und die Westküste Neufundlands hoch (siehe meine gedruckten Berichte auf meiner Webseite: www.zollitschcanoeadventures.com
Vorbereitungen
Obwohl Segeltörns auf so einer klassischen Yacht Jahre im voraus gebucht werden, schickte ich dem Schiffer aber dennoch eine kurze Anfrage per e-mail. 5 Tage später war ich auf der Mannschaft. Ich konnte es kaum glauben! In Gedanken packte ich schon meinen Seesack: Ölzeug, Gore-Tex Anzug, Seestiefel, Takelmesser; Polypropylene, Polarfleece und schnell-trocknendes Zeug (keine Baumwolle oder Wolle); mein Satellitentelefon und mein SPOT "locator beacon", kurz, all die Sachen, die ich gewöhnlich auf meinen Seekanulangfahrten mitnehme. Ich könnte im nu startbereit sein. Günstige Flüge von Boston nach Antigua und von Hamburg zurück nach Boston zu finden, war bei weitem der schwierigste Teil der Reisevorbereitungen.
Wir würden 6 Crew sein, erfuhr ich, plus Skipper/Eigner, zwei Wachen zu je 3 Mann, 6 Stunden am Tag, 4 nachts, also eine volle Rotation in 2 Tagen. Skipper war offiziell wachfrei, war aber für Navigation und überhaupt alles verantwortlich und überschaute und half bei jedem größeren Manöver. Die Mahlzeiten würden umschichtig jeden zweiten Tag von der Crew zubereitet. Alles machte viel Sinn und war, wie ich es erwartet hatte. Die Abreise konnte nicht früh genug kommen.
Unser Kurs über den Atlantik (Bild anklicken für Großformat)
Erster Teil der Reise: Antigua – Azoren
Am 20. April 2011 ging meine Fahrt endlich los. Ich flog von Boston nach Miami und von dort schnurstracks nach Südosten über eine lange Kette von Inseln nach Antigua, einer der Leeward Islands in den Lesser Antillen. Der Vulkan auf Montserrat paffte Dampfwolken in die Atmosphäre als wir vorbeiflogen. Da Antigua zum United Kingdom (England) gehört, mussten alle Fluggäste erst durch den Zoll und die Immigration. Per Taxi ging es dann 15 km auf engsten, holprigen, unübersichtlichen Straßen, immer auf der linken Straßenseite, zum Antigua Yacht Club in Falmouth/English Harbour. Alles sah sehr armselig und trocken aus, außer den Touristenhäfen selbst. Esel, Ziegen und Hühner liefen frei auf den Straßen herum, die alten Zuckerrohrmühlen waren am Zusammenfallen, die Häuser der Leute nur Hütten – zwei ganz verschiedene Welten trafen sich hier.
Ich hatte mir einen extra Tag eingeplant, an dem ich das Admiral Horatio Nelson Museum in English Harbour besuchte, zum Fort an der Hafeneinfahrt wanderte, sowie zu einem Strand in Falmouth, Pigeon Hill Beach, stets nach dem Peter Ausschau haltend. Er aber segelte noch die letzte Regatta der Antigua Woche für klassische Segelboote.
Am 23. April um "high noon" traf sich dann die neue Crew am Steg ein und wurde im Schlauchboot zum Peter gemotort. Es waren meist Deutsche, Schweizer und zwei gebürtige Deutsche, die jetzt in Peking, China, und Maine, USA (ich), wohnen. Die offizielle Sprache an Bord war Deutsch, sowie Englisch als internationale Seefahrersprache. Da waren die üblichen Vorstellungen und Anweisungen, Sicherheitsdrills, Wach-, Kojen- und Stauraumaufteilung, usw. usw. Schließlich war es an der Zeit, über Bord zu springen. Das erste Becks Bier in der Cockpit unter dem Sonnendach schmeckte danach besonders gut.
English Harbour, Antigua
Früh am nächsten Morgen (24. April 2011) motorten wir von unserem Ankerplatz in Falmouth zur Marina in English Harbour, um Wasser und Treibstoff zu tanken, kamen aber erst um Mittag los, da sich bereits eine lange Schlange von Booten, die ebenfalls zurück nach Europa wollten, gebildet hatte. Das Wetter war sagenhaft schön: sonnig und trocken, 10-15 Knoten Wind aus Ostnordost, ein typischer Passatwind. Wir segelten einen Schlag auf Steuerbordbug und nach etwa einer Stunde rüber auf Backbordbug. Und so blieb's auf die nächsten 2000 Seemeilen: den Backbordbug fast ständig im Wasser, während Steuerbordbug und meine obere Steuerbordkoje hoch oben in der Luft waren. Nur meine an der Decke befestigte Schlingerleiste hielt mich drinnen fest. Beim Aussteigen/Rausrollen konnte man leicht auf den Bodenbrettern oder in der gegenüberliegenden Toilette landen. Au weh!
Meine Steuerbordkoje
Sie haben richtig gehört: 2000 Seemeilen/3600 km ohne Wende oder Halse, nur Vorsegelwechsel, Reffen und wieder ausreffen, und das immer so wie es 1936 gemacht wurde, alles mit der Hand, ohne "furling gear" oder Power Winschen, oft eine nasse Angelegenheit mit den klobigen Messing Stagreitern am Vorstag. Nur die Navigation und Sicherheitsmaßnahmen waren auf den modernsten Stand der Technik gebracht worden.
2000 Meilen auf Backbordbug
2000 Meilen mit Steuerbord in der Luft
Wie erwartet nach meinen NOAA Pilot Charts für April und Mai (Nordatlantik), segelten wir zuerst mit dem Passatwind praktisch direkt nach Norden, etwa 60 Grad am Wind, bis rauf zu 30 Grad nördliche Breite. Das Wetter war meistens sonnig, der Wind konstant kräftig - kein Sturm, Gewitter oder Regen. Der Nachthimmel war voller Sterne, und es war leicht, dem Nordstern entgegen zu segeln, ohne auf den Kompass schauen zu müssen. Dieser bereitete mir, sowie auch anderen Crewmitgliedern, Schwierigkeiten, besonders nachts oder wenn die Sonne ihn seitlich beschien. Die Lubberlinie war kaum mehr zu sehen, und die Gradeinteilung war auch bereits sehr verblichen. Nur Nord, Ost, Süd und West waren noch klar zu erkennen. Aber auf einem 75 Jahre alten Veteranen macht man schon gewisse Zugeständnisse. Der alte Messing Binnacle Kompass sah aber zünftig aus und machte sich toll auf den Fotos.
Unsere Crew und Skipper (rechts im Bild; RZ fotografiert)
Was mich gleich von Anfang an beeindruckte, war, dass sowohl Skipper als auch der junge Bestman Benno den Peter nicht wie ein Museumsstück über den Atlantik segelten, sondern immer versuchten, mehr und größere Segel anzuschlagen, um einen oder auch nur einen halben Knoten schneller zu segeln. Der Peter war als Hochseerenner konzipiert und sollte auch noch nach 75 Jahren so gesegelt werden. Das gefiel mir. Wir Crew waren dabei immer aktiv involviert. Wir waren keine "Gäste" an Bord, obwohl wir für den Törn bezahlen mussten, sondern mussten unseren Mann stehen, Wache gehen, kochen, saubermachen, und stets den anderen gegenüber positiv, freundlich und hilfreich sein. Das alles war kein Problem für mich, obwohl ich auf dem ersten Teil der Reise mit fast 72 Jahren der Senior war.
Meine Wache - Karl-Heinz, Wachführer Franz, Reinhard
Das Backborddeck war meist im Wasser, das Steuerborddeck nass, aber selten kam Wasser über und in die Cockpit. Wir trugen meist unsere Schwimmwesten und waren ebenfalls in die Halteleinen eingepickt, nachts immer. Wenn man 60 Grad am Wind segelt, fällt das Boot oft mit einem lauten Knall und Zittern von einem Wellenkamm ins Tal. Unter Deck war es dann oft schwer, trotz der vielen Handleisten, sich vorwärts zu bewegen. Wir alle hatten blaue Flecken an Ellbogen, Knien und Hüften. Spaghetti- oder Kartoffelwasser vom wild schwingenden Herd in den Ausguss zu gießen, war gemeingefährlich. Unfälle kann man sich aber auf See nicht leisten. Also äußerste Vorsicht!
RZ am Ruder bei gutem Wetter...
...und bei mehr Wind
Aber das Essen war echt gut, kein Vergleich zu der französischen Küche 1977 auf dem 2-Mast Schoner "Fiddler's Green" (mit französischem Eigner, Frau und ihrem Bruder). Alles wurde frisch gekocht, meist nach Skippers bewährten Rezepten und hilfreicher Führung. Es gab Hühnchen, Steak, Lammkeule, Brat-, Bock- und Mettwurst, und einmal sogar traditionellen Stockfisch (getrockneten Salzkabeljau, "bacalhau" auf Portugisisch). Wir fingen 2 Dorade und 2 Thunfische, jeder Fisch etwa 10 Pfund, aßen Fischsteaks und Thunfisch Sushi, was wir aber nur selten mit je einer Flasche Bier oder einem Glas Rotwein herunterspülten.
Das geschah nur auf unserem Bergfest, auf halber Strecke zu den Azoren, wo wir zugleich den 75. Geburtstag des Peter feierten, dazu Peters 25. Atlantiküberquerung, sowie Skippers 20. Jahr als Eigner/Skipper, und ich obendrauf noch meine Rückkehr zum Peter nach 50 Jahren. Ein zünftiger Grund zum Feiern. Aber auf Hochsee gibt's nur ein Bier oder ein Glas Wein, aus Sicherheitsgründen, was alle einsahen, wenn's auch schwer fiel.
Bestman Benno backte dazu noch Sauerteigbrot, und ich machte Brötchen und Müslibrot zum Frühstück mit Hefe, die ich von zu Hause mitgebracht hatte. Dazu gabs immer reichlich an Antigua Tomaten, grüne Pfeffer, Kartoffeln und Batate, Pampelmusen, Bananen, Mango und Kokosnüsse, die ein wunderbarer Cockpit-Snack waren. Natürlich gab's auch reichlich Pasta/Spaghetti mit Tomaten/Gemüse Soße, aber oft auch nur mit einem Glas Pesto verrührt. Kaffee und heißer Tee war zu jeder Tages- und Nachtzeit zu haben.
An einem Nachmittag, ein gutes Stück nordöstlich von Bermuda, genauer am 30. April bei 34N 56W, wurde die Gleichmäßigkeit der Tage durch einen kräftigen Ruck an der Heckangel unterbrochen. Der Haken hatte sich an einem an der Wasseroberfläche schwimmenden Sisalnetz verfangen. Als wir es an Deck zogen, fanden wir eine 60 cm große Loggerhead Schildkröte drin, die sich darin völlig verheddert hatte, aber noch kräftig strampeln konnte. Wir befreiten "Lucky", wie ich sie nannte ("Lucky", weil wir zufällig vorbeikamen) und setzten sie mit unseren besten Wünschen zurück in ihr Element.
Loggerhead Schildkröte "Lucky"
Nach 2000 Meilen auf Backbordbug konnten wir endlich wenden und versuchen, auf die linke Seite des Azoren-Hochs zu kommen. (Der Wind dreht rechts herum in einem Hoch, so dass man links günstige Winde, rechts aber Gegenwinde zu erwarten hat.) Endlich konnte ich bequem in meiner Koje schlafen und brauchte nicht mehr zu fürchten, auf den Bodenbrettern zu landen. Die 4 Backstagen wurden ohne Murren neu eingestellt. Alle atmeten auf, besonders die Köche in der Steuerbordkombüse. Jetzt gings los mit Kurs auf die Azoren!
Vorerst jedoch bekamen wir noch etwas mehr Wind, aber nie mehr als 28-40 Knoten, Beaufort Windstärke 7-8. Wir mussten reffen, sogar etliche Male das Großsegel bergen und nur mit Sturmklüver und gerefftem Besan laufen. Das Sturmtrysail haben wir aber nie anschlagen müssen. An einem Punkt (am 5. Mai, 41N 44W) waren wir dann näher an Neufundland als an den Azoren, was mit einem deutlichen Temperaturabfall verbunden war. Die karibische Ambianz war ein für allemal vorbei. Aber das war auf einer Atlantiküberquerung auch nicht anders zu erwarten.
Navigationstisch
Unsere täglichen Etmale (gesegelte Entfernungen von 12 Uhr Mittag zum nächsten Mittag) betrugen zwischen 131 und 206 Seemeilen, 148 im Durchschnitt. Wegen der Winde mussten wir 700 extra Meilen zu den Azoren segeln, 2671 Seemeilen/4808 km insgesamt, und kamen um 1 Uhr nachts am 19. Tag unserer Reise im Horta Hafen auf der Insel Faial an. Da die Azoren zu Portugal gehören, mussten wir Schiff und Mannschaft in die EU einklarieren, was aber erst später am Morgen geschehen konnte. Also kletterten wir nur auf die Pier, um unseren Landfall komplett zu machen, klopften einander auf die Schultern, grinsten einander an, ohne die rechten Worte zu finden, tranken ein Bier im Stehen, und gingen zurück an Bord in unsere Kojen. Wir waren alle todmüde nach einer langen, kalten und windigen Nacht. Unsere Kojen waren wie ein Himmelbett: zum ersten mal flach, eben und ruhig.
Im Horta Hafen auf Faial, Azoren
Horta/Faial
Horta Hafen auf Faial, einer der 9 Vulkaninseln in der Azoren Gruppe, war voller Segelboote, von denen die meisten, wie wir, auf der Durchreise nach Europa waren. Portugal/Spanien liegt nur etwa 2000 km/1111Seemeilen östlich von hier. Nach einem ersten Klar-Schiff-Machen zieht es die Crews dann meist zuerst zur Sports Bar Peter, um das Salzwasser aus der Kehle zu spülen. (Nein, die Bar war nicht nach unserem Peter benannt worden. Wir haben aber darauf bestanden und sie zu unserem Stammlokal gemacht.) Das Essen im Hafenrestaurant Canto da Doca, wo jeder sein Fleisch und Fisch auf einer glühend heißen Vulkan-Steinplatte grillen konnte, war eine zünftige Belohnung für die ersten 18 Tage auf See. Der lokale Rotwein war auch nicht schlecht.
"Der Peter und Reinhard waren hier" (Horta Kaimauer)
Am nächsten Tag mieteten fünf von uns ein Taxi und fuhren halb um die Insel herum und auf den Rand des großen Vulkankraters. 1957 hatte er das letzte Mal Feuer gespien, aber seitdem blieb alles ruhig. Von dort oben konnte man gut sehen, wie fruchtbar die Insel war. Überall waren Bauernhöfe, grüne Äcker und Kuhweiden, und an den Hängen Weinberge. Früher soll Faial auch Walfang betrieben haben, Spermwale, wie ich in dem Walmuseum im Hafen erfuhr. Da musste ich in der Peter Bar ein Glas portugisischen Douro Port auf Moby Dick und seine Leidensgenossen trinken, von denen wir von unserem Peter aus noch einige prustende Giganten gesehen hatten.
Vulkankrater auf Faial
Niemand war all zu sehr überrascht, als Skipper uns dann noch einen extra Tag Landgang gab, da er nicht am Freitag, den 13. auslaufen wollte. Zwei Crewmitglieder stiegen aus, drei neue kamen hinzu. Wir waren also jetzt acht an Bord. Proviant wurde gekauft, vor allem frisches Gemüse, Obst, Brot und Milch. Alles am Boot wurde überprüft, alles war OK: es konnte also wieder los gehen.
Zweiter Teil der Reise: Azoren – Hamburg
Ganz früh am nächsten Morgen ging's los, mit einer schnellen Geburtstagsfeier mit Kuchen und "Happy Birthday" aus rauhen Stimmen. Es war mein 72. Geburtstag, und ich war völlig überrascht, dass sich jemand daran erinnert hatte. Dann aber wurde Tempo gemacht, um den verlorenen Tag wieder wettzumachen.
Mein 72. Geburtstag auf See
Der zweite Teil der Reise war ganz anders als der erste. Der Wind war weniger stark und kam mehr aus Süden, d.h. war mehr achterlich. Der Peter lief also viel ruhiger, leiser und trockener. Des öfteren hatten wir zwei Vorsegel, Klüver und Fock, ausgebaumt und fuhren fast immer das Besanstagsegel und manchmal sogar den 180 Quadratmeter großen Spinnaker, einmal sogar bis Mitternacht.
Ausgebaumt in Richtung England
An grad so einem Tag, so um die Abendbrotzeit des vierten Tages seit Horta, Faial (oder 450 Seemeilen von Land, 46N 26W) kam ein amerikanischer Hubschrauber auf uns zu, im Tiefflug, so eben über unseren Mastspitzen. In einer Stunde geschah dasselbe noch einmal. Hoffentlich haben sie gute Fotos von uns unter Vollzeug, mit Spinnaker und Besanstagsegel, gemacht. Über UKW Handfunkgerät fragten wir an, was los sei, bekamen aber keine Antwort. Na ja; höchstwahrscheinlich waren die auf Manöver von einem Flugzeugträger – "secret mission", oder so.
An zwei Tagen schafften wir ein Etmal von 205 und 206 Seemeilen. Skipper Christoph war mit 12,6 Knoten der schnellste am Ruder. Das ist schon allerhand für ein 75-Jahre altes Schiff mit Stahlrumpf (30 Tonnen), nicht Kohlefaser Composite, wie die meisten modernen Rennyachten heutzutage.
Teak Decks, Holzmasten und Blöcke - eine klassische Yacht
Die Zeit verlief viel schneller als auf dem ersten Teil der Reise. Das ist immer so bei gutem Segelwetter. Es half auch, dass wir 6 mal unsere Uhr eine Stunde vorstellen mussten. Unser Kurs war auch viel direkter, grad auf die Scilly Isles, Lands End und The Lizard in England zu. Am 29. Tag seit Antigua sahen wir dann den Leuchtturm von Bishop's Rock. Damit war "der große Teich" praktisch überquert. Hurrah!
Skipper lackiert - bitte nicht stören
Von dort flogen wir in Rauschefahrt durch den Englischen Kanal und sahen die "white cliffs of Dover" am 31. Tag unserer Reise, als die ersten Sonnenstrahlen um 4 Uhr 30 über die Kimm schienen – ein unvergessliches Bild in meiner Erinnerung.
Im nu waren wir dann rüber vor Hollands und Belgiens Küste, entlang der Friesischen Inseln in Richtung Elbmündung. Vor Norderney hatten wir dann plötzlich Flaute. Die Frage war, werfen wir den Motor an, den wir bis jetzt nur wenig gebraucht hatten, oder gehen wir baden. Das Mannschaftsplebiszit war baden. Da Skipper aber vor kurzem den Süllrand neu lackiert hatte, weigerte er sich, die Schwimmleiter festzuklemmen. Kein Problem, wenigstens nicht für drei von uns (einschließlich RZ), da wir kein Problem hatten, über das Besanwasserstag wieder an Bord zu klettern.
Ein bisschen wurde dann doch noch gemotort (für die ganze Reise insgesamt 79,5 Stunden), bis der Wind plötzlich auf Ost umschlug und mit 7-8 Windstärken (35 Knoten) uns die Einfahrt in die Elbe unmöglich machte. Plan B war genauso gut, wenn nicht sogar noch besser: wir laufen kurz zur Insel Helgoland rüber.
Es war nur ein langer Schlag am Wind, aber nicht hart am Wind. Ich war von Mitternacht bis 4 Uhr am Ruder. Das starke Licht vom Helgoland Leuchtturm war bereits unter der Kimm sichtbar. Ich brauchte also nie auf den Kompass zu sehen, sondern musste das Licht nur so 10-15 Grad an Backbord lassen und konnte mich ganz auf das Steuern konzentrieren. "I loved it!" Für mich waren das die besten Stunden des ganzen Törns! Skipper und Bestman Benno checkten meinen Kurs auf dem Radarschirm und mit GPS. Es waren viele Boote in der Gegend, aber alles ging glatt. Kurz vor 4 Uhr löste Skipper mich ab und steuerte den Peter sicher in den Innenhafen.
Wieder war es zu spät, ein Bier in einer Bar zu trinken. Wieder stiegen wir an Land, tranken ein Bier im Stehen, klopften einander, wie in Horta, fast wortlos auf die Schultern und krochen in unsere Kojen. Da ich aber der Crew frische Brötchen zum Frühstück versprochen hatte, war meine Nachtruhe sehr kurz. Schlaf konnte ich später nachholen.
Nach dem Frühstück und einem kurzen Landgang war die Zeit gerade recht für eine günstige Tide die Elbe rauf. Auf dem Wege zur Mündung presste dann eine plözliche Bö den Peter auf's Ohr. Er kam aber schnell und ohne Schaden wieder hoch, und wir schafften es in schneller Fahrt zur Mündung der kleinen Oste am linken, d.h. südlichen Elbufer, die wir bis Neuhaus ohne Motor hinaufsegelten. Direkt hinter'm Deich war ein altes Gasthaus, das sein eigenes Bier braute und uns half, unser "homecoming" zu feiern.
Den Elbstrom rauf nach Hamburg
Unser Ableger um 5 Uhr morgens kam für einige ein bißchen zu früh. Aber einen günstigen Wind und die rechte Tide (Flut in unserem Fall) vergeudet man nicht auf dem großen Elbstrom. Beide halfen, dass wir mit Vollzeug, zügig und ohne Wende, nach Wedel rauf kamen. Etliche große, voll beladene Containerschiffe nutzten ebenfalls den höheren Wasserstand der Flut, um sicher in den Hamburger Hafen zu kommen. Es war 11 Uhr (28. Mai 2011), als wir im Wedeler Yachthafen, in Peters Heimathafen, festmachten. Wir klarten sofort auf, schlugen die Segel ab, wuschen das Boot, packten den restlichen Proviant und unsere Sachen, tranken noch ein letztes Becks Bier zusammen, und dann war die Fahrt plötzlich zu Ende.
Niemand meiner Verwandten und Freunde aus Hamburg/Lübeck war da, mich zu begrüßen, weil sie alle selber auf Urlaub waren. Auch sonst war niemand da, den Peter willkommen zu heißen. Etwas später kamen Skippers Schwester und Vater mit einer großen Schüssel frischer Erdbeeren. Hat das aber gut geschmeckt! Vielen Dank!
Unsere zweite Mannschaft (RZ vierter von links)
Am selben Nachmittag schon verabschiedeten sich alle Crew Mitglieder und fuhren per Taxi zum Flughafen oder zum Bahnhof. Nur Dominik und ich verbrachten noch eine letzte Nacht an Bord. Um 6 Uhr morgens verließ auch er das Boot. Ich war auf einmal allein auf dem großen Peter. Ein einmaliges, großartiges Erlebnis ging plötzlich in aller Stille zu Ende. Der alte Peter sah an diesem Morgen sehr einsam und verlassen aus, doch gleichzeitig auch sehr stolz mit seinem glatten, weiß-glimmernden Rumpf, seinen glänzenden Holzmasten und Kajüte und seinem silbergrauen Teakdeck.
Ende der Reise
Mir ging es ähnlich: ich war ein wenig traurig, dass die Fahrt so plötzlich und so still zu Ende ging, doch auch stolz, den 5-wöchigen Segeltörn (4672 sm/8410 km) ohne Seekrankheit oder Verletzungen so aktiv wie alle anderen mitgemacht zu haben, und das mit 72 Jahren - "and loving it!"
Wie ich hörte, hat der Peter jetzt nur eine kurze Verschnaufpause, bevor wieder alles auf Hochtouren los geht: die Kieler Woche, eine Reise nach St. Petersburg, Russland, weitere Ostseeregatten, eine Reise nach Bergen, Norwegen, und schließlich rund um Skagen in die Nordsee und zurück die Elbe hoch nach Wedel/Hamburg für einen längeren Winterschlaf mit Totalüberholung.
Dann geht der ganze Kreislauf wieder von vorne los, und am Ende des Ostsee/Nordseesommers geht's wieder runter nach Portugal, Madeira, die Kanarischen Inseln und rüber in die Karibik. Wenn das ein Seglerherz nicht höher schlagen lässt – ich weiß nicht! Was meint ihr? Schaut euch mal die Peter Webseite an: www.peter-von-seestermuehe.de Vielleicht hat Skipper Christoph von Reibnitz noch eine Koje frei. Viel Glück und viel Spaß.
Atlantischer Sonnenaufgang
Ahoi!
Reinhard
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www.peter-von-seestermuehe.de
und
www.peter-von-danzig.de
NOAA Gnomonic plotting chart of the North Atlantic
NOAA Pilot Chart of the North Atlantic Ocean, April-Mai
John Masefield (1878-1967)
(English Poet Laureate, 1930-1967.)
SEA-FEVER
I must down to the seas again, to the lonely sea and the sky,
And all I ask is a tall ship and a star to steer her by,
And the wheel's kick and the wind's song and the white sail's shaking,
And the grey mist on the sea's face, and a grey dawn breaking.
I must down to the seas again, for the call of the running tide
Is a wild call and a clear call that may not be denied;
And all I ask is a windy day with the white clouds flying,
And the flung spray and the blown spume, and the sea-gulls crying.
I must down to the seas again, to the vagrant gypsy life,
To the gull's way and the whale's way where the wind's like a whetted knife;
And all I ask is a merry yarn from a laughing fellow-rover
And quiet sleep and a sweet dream when the long trick's over.
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© Reinhard Zollitsch
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